Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts a.D., erläutert die historische Entwicklung des Sozialstaats. Er betont ferner, dass Organisationen für die in ihnen tätigen Menschen selbstverständlich Verantwortung tragen – und zwar auch für über die eigentliche Beschäftigung hinausgehende Bereiche. In der Gegenwart wird eine hohe Erwartungshaltung an jeden Einzelnen gerichtet.
Für die betriebliche Soziale Arbeit und die Bereitschaft des Einzelnen, diese aufzusuchen, ist das Versprechen der Vertraulichkeit laut Kirchhof eminent wichtig. Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen sich rechtlich auf gleichem Niveau gegenüber, weswegen Kirchhof festhält, dass er die Idee, Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Arbeitgeber einzuführen, ablehnt.
Angesichts des technischen Fortschritts mahnt Kirchhof, wertende Entscheidungen gegenüber Menschen dürften nicht dem Computer überlassen werden.
Frage 1: Das Thema des Sozialstaats hat Sie immer wieder beschäftigt. Sie wurden in Ihrer Zeit als Richter am Bundesverfassungsgericht von Politikern (FAZ 17.03.2010, Nr. 64, S. 10) als "teuerster Richter" bezeichnet, weil unter Ihrem Vorsitz das Urteil des Ersten Senats (BVerfGE 125, 175 vom 9. Februar 2010) zur Berechnung der SGB II-Sätze gefällt wurde, welches die Höhe als verfassungswidrig beurteilt hat. Bei den Fachkräften der Sozialen Arbeit wurde das Urteil mit großer Freude zur Kenntnis genommen. Was bedeutet für Sie das Wort "sozial"? Was ist für Sie das "Soziale" am Sozialstaat?
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Frage 2: In Ihren Veröffentlichungen haben Sie sich u. a. mit der sozialen Verantwortung (Finanzierungsinstrumente des Sozialstaats (2005), S. 47 ff.) auseinandergesetzt. Es gibt viele Organisationen (von Dax-Unternehmen über Familienunternehmen, Kommunen, Ministerien bis hin zur Polizei und Bundeswehr), die ihren Beschäftigten auf freiwilliger Basis Unterstützung durch Betriebliche Soziale Arbeit (BSA) anbieten, um den Belastungen des modernen Arbeitslebens etwas entgegenzusetzen und langfristige Bindungen zu ermöglichen. Haben aus Ihrer Sicht Unternehmen, Gerichte, Universitäten etc. eine soziale Verantwortung und, wenn ja, warum?
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Frage 3: Die Fachkräfte in der Betrieblichen Sozialen Arbeit beschäftigen sich mit Suchterkrankungen, Schulden, pflegenden Angehörigen, psychischer Gefährdung, inner- und außerbetrieblichen Konflikten etc. Dabei erfahren sie viele private und vertrauliche Informationen. Daher sind qualifizierte Fachkräfte in der BSA wie z. B. staatliche anerkannte Sozialarbeiter Berufsgeheimnisträger nach § 203 StGb. Welche Vorteile sehen Sie darin, dass Organisationen ihren Beschäftigten eine solche vertrauliche Anlaufstelle anbieten?
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Frage 4: In der BSA geht es auch schwerpunktmäßig um die Prävention psychosozialer Belastungen in der Arbeitswelt. Es gibt daher immer mal wieder eine Diskussion in der betrieblichen Sozialen Arbeit, ob es auch Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Arbeitgeber geben sollte. Ist dies aus Ihrer Sicht eine gute Idee oder ist es richtig, dass Grundrechte Abwehrrechte gegen den Staat sind?
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Frage 5: Wir als Bundesfachverband sehen die Betriebliche Soziale Arbeit als Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt. Aus unserer Sicht müssten große Unternehmen gesetzlich verpflichtet werden, ein solches Angebot vorzuhalten. Eine solche gesetzliche Verpflichtung wird häufig als utopische Idee bezeichnet. Wie bewerten Sie solch eine utopische Idee?
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Frage 6: Sie haben sich mit den "Chancen guter Gesetzgebung in einer komplexen Welt" befasst (Redemanuskripte zur ifst-Tagung am 21. und 22. November 2018). Sie haben die Steuerung der Gesellschaft durch Algorithmen statt durch Gesetze kritisiert und einen Vormarsch undemokratisch legitimierter Algorithmen konstatiert (S. 54 ff.). Welche Risiken sehen Sie? Was würden Sie Unternehmen im Umgang mit Algorithmen empfehlen?
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Frage 7: Eine persönliche Frage zum Schluss: Sie haben über Jahrzehnte gezeigt, dass Sie ein enormes Arbeitspensum auch unter großem öffentlichen Druck bewältigen können. Wie konnten Sie dies über eine derart lange Zeit durchhalten?
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